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Start Rallye Tagebuch 12.05.2011, Tasucu(TR), 600 km mit Schiff

12.05.2011, Tasucu(TR), 600 km mit Schiff

Tasucu, Türkei

Fähre fahren Teil 3. Kein Handyempfang

Fähre Zypern – 30 Meilen vor Port Sahid, Ägypten – Tasucu, Türkei

Kurz nach Sonnenaufgang wache ich auf dem Oberdeck auf. Eine sanfte Brise weht mir den Müll, der mittlerweile das ganze Schiff bedeckt, um die Nase. Kein besonders gemütlicher Platz zum schlafen. Ab sofort ziehe ich um in eines der Rettungsboote, das ist müllfrei und hat eine ausgesprochen gute Aussicht. Immer wieder wird die wahrscheinliche Ankunftszeit von der Orga nach oben korrigiert. 20:00 Uhr scheint realistisch, aber so langsam beschleicht uns das Gefühl dass hier keiner was im Griff hat. Dieses Gefühl sollte sich im weiteren Verlauf der Reise bestätigen.

Am Kiosk gehen mittlerweile der Tee und das Essen aus, diemMitgebrachten Lebensmittel sind ebenfalls fast leer. Wir sind froh heute Abend endlich von diesem Seelenverkäufer runter zu kommen. 50% von uns besonders, denn die Hälfte aller Fahrzeuge befindet sich auf einer Frachtfähre ohne Plätze für Passagiere. Die Besitzer der Autos wurden auf die beiden anderen, kleinen, Fähren verteilt auf denen wir gerade unterwegs sind. Sie haben kaum Gepäck und Essen dabei da am Anfang Reisezeiten von nur 14 h angekündigt wurden.

Die Stimmung ist mittlerweile etwas gedrückter als die vergangenen Tage. Gegen 18:00Uhr erreichen wir den Rand der 30 Meilen Zone. Zunächst noch unbemerkt stoppt das Schiff hier. Nach einiger Zeit dann die Durchsage: die Ägyptische Hafenbehörde lässt uns nicht rein, die Genehmigung hängt angeblich in der Bürokratie. Wir müssen warten, wir sind bereits Meister darin. Einige an Bord bekommen immer mal wieder Verbindung mit dem Handy und sofort bildet sich auf dem Dach der Brücke ein Pulk Netzsuchender Menschen.

Flüge werden umgebucht oder storniert, die Zuhausegebliebenen informiert denn wir sind ja schon länger außer Reichweite als gedacht. Dann brechen die Verbindungen wieder ab. Zurück bleiben hilflose, leise auf ihr Handy fluchende, mittlerweile ein wenig gestresste Rallyeteilnehmer. 20:30 erreicht uns die Durchsage, dass Verhandlungen zu unserer Einreise zwischen Ägypten, Jordanien und der Rallyeorga stattfinden. Die Aussichten sollen sehr gut sein. Gegen 22:00 dann die Durchsage: Die Verhandlungen sind gescheitert! Wir müssen auf der Stelle zurück in die Türkei. Wie kann das sein, wo uns doch vor Beginn der Überfahrt die Ägypter die problemlose Einreise angeblich zugesichert hatten?

Die nächsten Minuten verlaufen mehr oder weniger dramatisch. Kurz herrscht fassungsloses Schweigen, dann brechen wütende Diskussionen los, teilweise gefolgt von Resignation. 2 ältere Herren erleiden einen Zusammenbruch und benötigen erste Hilfe von Erhard unserem Teamkollegen und Arzt. Es ist schwer zu glauben, die ganze Route wieder zurück, auf diesem Schiff? Damit ist klar die Rallye und unsere ganzen Hoffnungen doch noch nach Jordanien zu kommen, sind geplatzt. Nicht zuletzt dank einer Organisation, die hoffnungslos unorganisiert ist, was sich in den vergangenen Tagen und auch Jahren bereits gezeigt hat. Heute sind sie an ihre Grenzen gestoßen, und auch an unsere. Unsere und die 2 anderen Fähren nehmen Kurs zurück nach Tasucu  wo wir herkommen. Weitere Reisezeit: geschätzte 40h bei 15 km/h. Wir warten, heute nicht mehr ganz so gelassen.

Nachtrag (mit und ohne Ironie)

Die MS Calypso, eine kleine, gemütliche Mittelmeer Fähre mit familiärer Atmosphäre.
Bereisen sie mit Adventure Tours, für nur 330€, 6 Tage lang, in einer unserer geräumigen 2 Bett Kabinen das Mittelmeer zwischen der Türkei und Ägypten. 5 Sonnendecks mit gemütlichen Liegen laden zum Relaxen ein. 24h locken Sport- und Animationsprogramm zum Mitmachen. Abendveranstaltungen auf 3 Decks bieten Spaß bis tief in die Nacht. Haben Sie Hunger? Kein Problem. Bedienen Sie sich ganztags am reichhaltigen Buffet mit heißen und kalten Speisen oder nehmen abends am Captains-Dinner teil. Unser freundliches Servicepersonal hält dazu jederzeit ein heißen Tee und ein Lächeln für Sie bereit. Modernste Multimediasysteme, hygienische Sanitäre Anlagen und zuverlässige Rettungssysteme mit höchstem Standart runden das Bild perfekt ab.

Die Realität sieht leider anders aus. Die MS ApoCalypso, wie sie schon in den ersten Stunden von einigen getauft wurde, ist kein Schiff auf dem man mehr als ein paar Stunden verbringen möchte. Seelenverkäufer fällt einem auf den ersten Blick ein. Baujahr 1970, mit einem Fassungsvermögen von ca.70 Fahrzeugen fährt sie zunächst unter Finnischer oder Schwedischer Flagge bis sie in die Türkei verkauft wird. Mittlerweile funktioniert hier kaum noch etwas.

Das Schiff ist von Kopf bis Fuß verdreckt und verrostet, von den ehemals 9 Toiletten funktionieren bzw. existieren noch 2. Die 2 Waschbecken sind ebenfalls kaum funktionsfähig und von zentimeterdickem Schmutz bedeckt, es stinkt unbeschreiblich. Duschen gibt es keine. Dazu fällt die Meerwasserentsalzungsanlage ständig aus und wir sind immer mal wieder ohne Wasser. Es gibt ein kleines Oberdeck mit spärlichen Resten zerfallener Holzbohlen, überall ragen Schrauben aus dem Boden. Die Beschattung hängt hier seit Jahren schon nicht mehr. Wackelige Bänke bieten Platz für einige wenige Passagiere.

Im Mitteldeck gibt es rund 80, nur teilweise neigbare Pullmannsitze, Kabinen hat es keine. Die Rettungsboote sind löchrig, teilweise zerfallen und die Winden zum herablassen komplett eingerostet. Wir sind uns alle einig, diese Boote retten nichts und niemanden mehr. Insgesamt ist die Fähre viel zu klein für 300 Passagiere und nur ausgelegt für den Kurzstreckenbetrieb, Verpflegung ist kaum an Bord. Die Fahrzeuge unter Deck stehen so dicht dass man sich nur über die Motorhauben fortbewegen kann, an die Türen kommt man bei kaum einem Fahrzeug ran. Hier verbringen wir 6 Tage und Nächte, mit einer Menge an Vorräten die eigentlich für 1 maximal 2 Tage gedacht waren.

Geschlafen wird in den Sitzen, auf dem Boden, in der Aufbewahrungskammer der Schwimmwesten, auf den Dächern der Autos im Unterdeck, auf Motorhauben, auf dem Dach der Brücke und sogar in und unter den Rettungsbooten. Wir können uns kaum waschen und viele kommen nicht an ihre Klamotten weil sie entweder das Auto nicht aufbekommen oder es auf der anderen Fähre steht. Noch mal: wir sind ja alle von einer Reisedauer von max. 24h ausgegangen. In den Gängen stapeln sich bereits die Müllsäcke, die von keinem weggeräumt werden, für es die aber sowieso kein Platz mehr auf dem Schiff gibt

 

Vielen Dank an die Sponsoren unseres Rallye-Teams:

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